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Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Beschluss verkündet am 25.10.2005
Aktenzeichen: 4 W 20/05
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1 | |
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 2 | |
BGB § 1906 Abs. 2 | |
BGB § 1906 Abs. 4 |
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IN BREMEN BESCHLUSS
in dem Betreuungs- und Unterbringungsverfahren
betreffend Frau K. K. (volles Rubrum, vgl. Bl. 287)
hat der 4. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen unter Mitwirkung der Richter Wever, Schumann und Dr. Haberland am 25. Oktober 2005 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige weitere Beschwerde der Verfahrenspflegerin der Betroffenen wird in Abänderung des Beschlusses des Landgerichts Bremen, 5. Zivilkammer, vom 1. Juni 2005 (5 T 299/05) festgestellt, dass die Genehmigungen der vorläufigen Unterbringung der Betroffenen im Klinikum Bremen-Ost durch die Beschlüsse des Amtsgerichts Bremen vom 3. Mai 2005 (44 XII K 170a/92 = 4 W 19/05) und 18. Mai 2005 (44 XII K 170a/92 = 4 W 20/05) rechtswidrig waren.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erhoben (§§ 128b, 131 Abs. 5 KostO). Gründe:
I.
Die 1963 geborene Betroffene leidet seit Jahren an einer chronischen paranoiden Schizophrenie. Seit dem Jahr 1991 ist für sie eine Betreuung angeordnet, zuletzt mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung und Zustimmung zu ärztlichen Heilmaßnahmen. Nach der ärztlichen Stellungnahme vom 17. Mai 2005 geht die Schizophrenie der Betroffenen einher mit der Neigung zu psychotisch verworrenem Denken, affektiven Impulsdurchbrüchen mit Aggressivität, Verwahrlosung und Erregungszuständen. Zudem ist aus der Vorgeschichte bekannt, dass die Betroffene ohne neuroleptische Medikation innerhalb von Tagen weiter dekompensiert und sich die beschriebene Situation krisenhaft zuspitzen kann. Um den Eintritt einer solchen Krise zu vermeiden, wurde es von den behandelnden Ärzten als erforderlich angesehen, bei der Betroffenen regelmäßig alle zwei Wochen eine Depotmedikation mit Risperdal Consta 37,5 mg durchzuführen.
Die Betroffene hat die Depotmedikation bereits mehrfach verweigert. Deshalb sind seit dem Jahre 2002 in 12 Fällen Genehmigungen für die geschlossene Unterbringung der Betroffenen zur stationären psychiatrischen Behandlung erteilt worden. Weiterhin wurde genehmigt, dass die bei der Durchführung der Unterbringung zur Unterstützung ggf. herangezogene Behörde Gewalt anwenden darf. In den genannten Fällen wurde die Betroffene nach Verabreichung des Depotmedikaments, regelmäßig am Tag der Unterbringung, spätestens am darauf folgenden Tage aus der Klinik entlassen. Der Betreuer hatte dabei mit der Klinik generell abgesprochen, dass die Betroffene entlassen werden darf, wenn eine medizinische Notwendigkeit für die stationäre Aufnahme bzw. ein stationäres Verbleiben der Betroffenen aus Sicht der Klinik nicht besteht.
Unter dem 3. Mai 2005 und 18. Mai 2005 beantragte der Betreuer erneut die vorläufige Genehmigung zur Unterbringung der Betroffenen, jeweils für zunächst eine Woche. Aus den den jeweiligen Anträgen beigefügten ärztlichen Stellungnahmen ergibt sich, dass die Unterbringung "zur Vermeidung einer weiteren psychotischen Desintegration und um die notwendige psychiatrische Behandlung einschließlich der Gabe der Depotmedikation zu ermöglichen" durchgeführt werden sollte, da die Patientin eine freiwillige stationäre Aufnahme abgelehnt habe. Einen Vorschlag zur Dauer der angeregten Unterbringung enthalten die ärztlichen Stellungnahmen nicht. Das Amtsgericht genehmigte die vorläufigen Unterbringungen entsprechend der vorstehend geschilderten Praxis durch Beschlüsse vom 3. und 18. Mai 2005. Auf Grund dieser Beschlüsse wurde die Betroffene am 3. Mai 2005 untergebracht und am 4. Mai 2005 wieder entlassen sowie am 19. Mai 2005 untergebracht und am selben Tage wieder entlassen. Gegen beide Beschlüsse des Amtsgerichts hat die Betroffene, vertreten durch die ihr bestellte Verfahrenspflegerin, am 17. bzw. 18. Mai 2005 sofortige Beschwerde eingelegt.
Mit Beschluss vom 1. Juni 2005 hat das Landgericht die sofortigen Beschwerden der Betroffenen als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB jeweils vorgelegen hätten. Eine ambulante Zwangsmedikation der Betroffenen sei mangels gesetzlicher Grundlage nicht in Betracht gekommen. Das Amtsgericht habe die stationäre Unterbringung auch nicht nur für die Zeit der Medikamentengabe genehmigt, sondern für einen Zeitraum, in dem eine Wirkung des Medikaments und damit eine Verbesserung des Zustandes der Betroffenen zu erwarten gewesen sei. Hierbei handele es sich um eine freiheitsentziehende Maßnahme. Zudem sei die Genehmigung erst erfolgt, nachdem sich der psychische Befund nach Verweigerung der Behandlung verschlechtert habe, so dass damit habe gerechnet werden müssen, dass sich die Betroffene erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen werde.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen.
II.
1. Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß §§ 27 ff. FGG zulässig. Dabei ist es im Hinblick auf das bestehende Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Betroffenen unschädlich, dass die vorläufigen Unterbringungen inzwischen beendet sind (vgl. BVerfG, NJW 1998, S. 2432 und NJW 2002, S. 2456; BayObLG, FamRZ 2004, S. 486).
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die kurzfristige, notfalls unter Anwendung von Zwang durchzuführende Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik, allein zu dem Zweck, der Betroffenen zwangsweise eine Depotspritze mit einem Neuroleptikum zu verabreichen, ist nicht genehmigungsfähig (vgl. BGH, FamRZ 2001, S. 149 ff.). Der beantragten Aufhebung und Zurückverweisung bedufte es nicht, weil der Senat den Sachverhalt als ausermittelt ansieht.
Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist, ist gemäß § 1906 Abs. 1 BGB nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (Nr. 1) oder wenn u.a. eine Heilbehandlung notwendig ist, die ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (Nr. 2). Beide Alternativen der Unterbringung durch den Betreuer liegen hier tatbestandlich nicht vor.
a) Wie aus den vorangehenden Unterbringungen der Betroffenen sowie aus dem sonstigen Inhalt der Akte ersichtlich ist (vgl. etwa Ergebnisprotokoll der Fallkonferenz vom 17. Oktober 2001) und auch vom Betreuer bestätigt wurde (vgl. Vermerk vom 19. Oktober 2005.), diente die stationäre Unterbringung der Betroffenen in den in Rede stehenden Fällen allein dazu, ihr die Depotspritze verabreichen zu können. Die Betroffene ist dann regelmäßig entweder noch am Tag der Vergabe der Spritze oder (nach Beobachtung) am nächsten Tag wieder entlassen worden.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist es schon zweifelhaft, ob die vom Betreuer beabsichtigten Maßnahmen freiheitsentziehende Unterbringungen im Sinne des § 1906 Abs. 1 BGB darstellen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine freiheitsentziehende Unterbringung gegeben, wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in einem räumlich begrenzten Bereich eines geschlossenen Krankenhauses oder einer ähnlichen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt wird, wobei die Maßnahme auf eine gewisse Dauer angelegt sein muss, um als Freiheitsentziehung angesehen werden zu können (BGH, a.a.O., S. 149 f.). Unabhängig von der konkreten Dauer der Unterbringung kann eine kurzzeitige Vorführung allein zum Zwecke der Vergabe einer Depotspritze mit anschließender sofortiger Entlassung des Betroffenen nicht als Unterbringung in diesem Sinne angesehen werden (vgl. BGH, a.a.O.; Palandt/Diederichsen, 64. Aufl., § 1906 Rn. 1) und zwar unabhängig davon, ob die Depotspritze ambulant oder stationär verabreicht wird. Hier waren die vorläufigen Unterbringungen der Betroffenen zwar zunächst für sechs bzw. sieben Tage vom Amtsgericht angeordnet worden. Nach den zitierten ärztlichen Stellungnahmen, den Angaben des Betreuers und der bisherigen Praxis erfolgten die Unterbringungen aber allein zur Verabreichung der Depotspritze und um die Betroffene nach dem Ermessen der Klinik ggf. noch eine Nacht zu beobachten, wie es bei der durch Beschluss vom 3. Mai 2005 genehmigten Unterbringung der Fall war. Bei der durch Beschluss vom 18. Mai 2005 genehmigten Unterbringung, die am 19. Mai 2005 um 16:15 Uhr erfolgte, wurde die Betroffene noch am gleichen Tage nach Vergabe des Depot-Medikaments wieder entlassen. Weitergehende, über die Medikation mit dem Neuroleptikum hinausgehende medizinische oder therapeutische Maßnahmen waren weder beabsichtigt noch sind solche, soweit erkennbar, bei den vorangehenden Unterbringungen durchgeführt worden.
Selbst wenn man hier das Vorliegen einer Freiheitsentziehung jedenfalls für die gemäß Beschluss vom 3. Mai 2005 genehmigte vorläufige Unterbringung unter Berücksichtigung des Umstandes bejahen würde, dass die Unterbringung bis zum Folgetag angedauert hat, ist nicht zu erkennen, dass die nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. §§ 70h Abs. 1 Satz 1 und 2, 69f Abs. 1 FGG zur Erforderlichkeit der vorläufigen Unterbringung vorausgesetzten dringenden Gründe für eine erhebliche Selbstgefährdung gegeben waren. Weder aus den Anträgen des Betreuers noch aus den ärztlichen Stellungnahmen lässt sich eine konkrete und ernstliche Gefahr für die Betroffene im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB entnehmen. In den ärztlichen Stellungnahmen wird lediglich formelhaft auf das Drohen eines erheblichen Gesundheitsschadens hingewiesen, ohne dass erkennbar ist, worin dieser zu sehen ist. Auch aus den vorangehenden Unterbringungen lässt sich eine solche Gefahr nicht ableiten, denn konkrete Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung lassen sich weder den vorangehenden, im Wortlaut im wesentlichen identischen ärztlichen Stellungnahmen oder den Anträgen des Betreuers noch aus dem Verhalten der Betroffenen entnehmen. Demzufolge konkretisieren auch die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 3. und 18. Mai 2005 und der Beschluss des Landgerichts vom 1. Juni 2005 nicht, welche konkrete Selbstgefährdung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB als Voraussetzung für eine Unterbringung vorgelegen hat. Allein das Eintreten einer krisenhaften Situation mit verstärkten Wahnvorstellungen der Betroffenen rechtfertigt die Annahme einer erheblichen Selbstgefährdung nicht.
b) Ein Unterbringungsgrund gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt ebenfalls nicht vor. Voraussetzung für eine Freiheitsentziehung zur Heilbehandlung ist das Vorliegen einer gesundheitsgefährdenden Krankheit, die dringend behandlungsbedürftig ist. Eine Unterbringung mit dem Ziel, die Medikamenteneinnahme zur Behandlung der die Betreuung bedingenden psychischen Krankheit zu erzwingen, ist dabei nur in geringen Ausnahmefällen zulässig, etwa wenn die Nichtbehandlung der psychischen Erkrankung eine weitere konkrete Gesundheitsgefahr, z. B. die der unausweichlichen Chronifizierung, nach sich ziehen würde (LG Rostock, FamRZ 2003, S. 704).
Eine solche weitergehende Gesundheitsgefahr ist hier jedoch nicht zu erkennen. Nach den ärztlichen Stellungnahmen leidet die Betroffene bereits seit Jahren an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. Lediglich der Umstand, dass in der Vergangenheit durch konsequente Medikamenteneinnahme eine temporäre Besserung des Zustandes eingetreten ist, rechtfertigt eine Unterbringung zur Behandlung der psychischen Krankheit nicht. Darüber hinaus leidet die Betroffene auch nicht an einer über die paranoide Schizophrenie hinausgehenden gesundheitsgefährdenden Erkrankung. Die beabsichtigte Unterbringung diente allein dem Ziel, der Betroffenen die Depotspritze zu verabreichen und sie ggf. noch einige Stunden unter Beobachtung zu halten. Dies wird von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB jedoch nicht gedeckt.
Auch eine unmittelbare oder ggf. entsprechende Anwendung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB kommt hier nicht im Hinblick darauf in Betracht, dass sich die beabsichtigte Depot-Medikation gegenüber einer genehmigungsfähigen freiheitsentziehenden Unterbringung als "milderes Mittel" darstellen würde. Zu dieser Frage hat der BGH umfassend ausgeführt, dass wenn der Betroffene einer ambulanten medizinischen Behandlung gegen seinen Willen zugeführt werden soll, es sich nicht um eine mit der Unterbringung vergleichbare Maßnahme handelt, die sich lediglich in ihrer Intensität unterscheidet, sondern dass eine andersartige Maßnahme vorliegt, für die es an einer gesetzlichen Grundlage fehlt. Eine entsprechende Anwendung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB kommt wegen des im Schutzbereich des Art. 104 Abs. 1 GG herrschenden Analogieverbotes nicht in Betracht (BGH, a.a.O., S. 150, 151). Auch aus anderen Rechtsvorschriften lässt sich die zwangsweise Zuführung des Betroffenen zur ambulanten Behandlung nicht ableiten (BGH, a.a.O.). Dass die Betroffene im vorliegenden Fall zur Verabreichung der Depotspritze regelmäßig stationär aufgenommen worden ist, rechtfertigt keine andere Einschätzung, denn, wie oben ausgeführt, sind auch diese Aufnahmen allein deshalb erfolgt, um der Betroffenen die Depotmedikation verabreichen zu können.
c) Eine Genehmigung als unterbringungsähnliche Maßnahme gemäß § 1906 Abs. 4 BGB scheidet ebenfalls aus. Diese Vorschrift schützt ebenso wie § 1906 Abs. 1 BGB die körperliche Bewegungsfreiheit und die Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung. Eine Medikamentenbehandlung wird deshalb nur dann von § 1906 Abs. 4 BGB erfasst, wenn diese gezielt eingesetzt wird, um den Betroffenen am Verlassen seines Aufenthaltsortes zu hindern (BGH, a.a.O., S. 150; OLG Zweibrücken, FamRZ 2000, S. 1114; OLG Hamm, FamRZ 2000, S. 1115, 1117, jeweils m.w.N.). Die hier verabreichte Depotmedikation hatte aber weder zum Ziel noch führte sie im Ergebnis zu einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Betroffenen (vgl. dazu OLG Zweibrücken, a.a.O.). Im Gegenteil hat die Betroffene die Klinik jeweils unmittelbar nach Durchführung der Medikation bzw. am darauffolgenden Tage verlassen.
Der Senat verkennt nicht, dass das Fehlen einer Zwangsbefugnis zur Vergabe der als erforderlich angesehene Medikation mit Neuroleptika im vorliegenden Fall dazu führen kann, dass es bei der Betroffenen auf Grund einer Weigerung zur freiwilligen Medikamenteneinnahme zu einer krisenhaften Zuspitzung mit daraus resultierenden erheblichen Problemen betreffend ihres sozialen Umfeldes und ihrer Wohnsituation kommen kann. Der BGH hat in seiner bereits zitierten Entscheidung aber ausführlich dargelegt, dass der Gesetzgeber die Problematik der fehlenden Zwangsbefugnisse im Unterbringungsrecht gesehen und gleichwohl auf eine Regelung verzichtet hat. Dies dürfe von den Gerichten auch im wohlverstandenen Interesses der Betroffenen nicht missachtet werden (BGH, a.a.O., S. 152).
Ende der Entscheidung
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